Analytische Psychotherapie

Ursprünge und moderne Praxis

Die analytische Psychotherapie (AP) geht, genau wie die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, auf Sigmund Freud zurück. Beide Therapieformen basieren auf der Theorie, dass die Psyche durch das Bewusstsein und das Unterbewusstsein ständig beeinflusst wird. Deshalb werden sie auch unter dem Begriff „psychodynamische Psychotherapie“ zusammengefasst.

Die analytische Psychotherapie gehört in Deutschland zu den Richtlinienverfahren. Das bedeutet, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen die Kosten einer Psychotherapie in diesem Verfahren übernehmen, sofern sie medizinisch notwendig ist. Im Vergleich zu den anderen Richtlinienverfahren übernehmen die Krankenkassen bei der analytischen Psychotherapie die höchste Anzahl an Sitzungen. Im Rahmen einer Langzeittherapie werden bis zu 160 Sitzungen übernommen, bei einer Verlängerung sogar bis zu 300. Eine analytische Psychotherapie kann sowohl in Form einer Einzel- als auch Gruppentherapie durchgeführt werden.

Die Dauer einer AP beträgt oft zwei bis drei Jahre, wobei die Sitzungen in der Regel mehrmals wöchentlich stattfinden. In der Praxis ist dies häufig schwer umzusetzen, weshalb die analytische Psychotherapie in Deutschland nur selten angewendet wird. Im Jahr 2021 wurden lediglich 2% aller kassenfinanzierten Psychotherapien in Form einer analytischen Psychotherapie durchgeführt. Einen deutlich größeren Anteil machten die Verhaltenstherapie (50%) und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (45%) aus.

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Grundlagen der analytischen Psychotherapie

Die analytische Psychotherapie basiert auf der Annahme, dass das Unbewusste einen starken Einfluss auf die Gefühle, Gedanken und Handlungen eines Menschen hat. Insbesondere negative Erfahrungen werden häufig ins Unterbewusstsein verdrängt. Durch die fehlende Auseinandersetzung mit diesen Inhalten können innerpsychische Konflikte entstehen, die sich negativ auf die Psyche auswirken oder sogar zu psychischen Erkrankungen führen können.

Die drei Instanzen nach Sigmund Freud: Es, Ich und Über-Ich

Sigmund Freud entwickelte ein Modell, um die Prozesse und Dynamiken innerhalb der Psyche zu beschreiben. Demnach wirken sich vor allem drei Instanzen auf die Psyche aus: das Es, das Ich und das Über-Ich. Diese Instanzen sind nicht als eigenständige Persönlichkeiten im Inneren zu verstehen, sondern repräsentieren lediglich verschiedene Anteile der Psyche. Nach Freud sind sie nicht klar voneinander abgrenzbar, sondern gehen fließend ineinander über.

Das Es repräsentiert die Urinstinkte, Triebe und Bedürfnisse eines Menschen. Dazu gehört beispielsweise das Bedürfnis nach Sicherheit und Nahrung. Freud beschreibt das Es als einen Teil der Psyche, der von Geburt an existiert und zu einem gewissen Anteil vererbt wurde. Es strebt danach, seine Bedürfnisse möglichst schnell zu befriedigen. Dabei ist es impulsgesteuert und handelt nach dem sogenannten Lustprinzip, also ohne sich an gesellschaftlichen Werten oder Normen zu orientieren. Das Es liegt tief im Unterbewusstsein und ist daher besonders schwer zugänglich.

Freud beschrieb das Es folgendermaßen: „Es ist der dunkle, unzugängliche Teil unserer Persönlichkeit; das wenige, was wir von ihm wissen, haben wir durch das Studium der Traumarbeit […] erfahren und das meiste davon hat negativen Charakter […].“

Das Über-Ich fungiert als eine Art Gegenstück zum Es. Das Über-Ich repräsentiert die Moral, Wertvorstellungen sowie Gebote und Verbote. Diese existieren nicht von Geburt an, sondern werden im Laufe des Lebens durch Eltern, das nähere Umfeld und die Gesellschaft vermittelt und anerzogen. Im Über-Ich sitzt das Gewissen, welches kritisch reflektieren kann und versucht, gesellschaftliche Anforderungen zu erfüllen (Moralitätsprinzip).

Das Ich hat sowohl Bezug zu den anderen Instanzen als auch zur Außenwelt. Seine Funktionen sind Wahrnehmung, Denken und Handeln. Das Ich ist in der Lage, die Forderungen und Wünsche von Es und Über-Ich zu erfüllen oder abzulehnen. Zudem vermittelt das Ich zwischen den anderen Instanzen und kann dabei die Konsequenzen einer Handlung abschätzen.

Ein vereinfachtes Beispiel für das Zusammenspiel der drei Instanzen: Eine Person sieht einen teuren Gegenstand im Schaufenster, den sie unbedingt besitzen möchte. Das Es strebt nach unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung, ungeachtet der finanziellen Konsequenzen. Das Über-Ich hingegen mahnt zur Vernunft. Das Ich übernimmt nun die vermittelnde Rolle und wägt zwischen den Forderungen beider Instanzen ab.

Nach Freuds Theorie stehen Es, Ich und Über-Ich im ständigen Austausch miteinander. Allerdings sind die drei Instanzen nicht immer im Gleichgewicht, sodass Ungleichgewichte oder Konflikte zwischen ihnen entstehen können. Ein dauerhafter innerer Konflikt kann laut Freud Angst, Unsicherheit oder sogar psychische Störungen hervorrufen.

Wie läuft eine analytische Psychotherapie ab?

Bei einer analytischen Psychotherapie liegt der Patient („Analysand“) klassischerweise auf einer Couch, während der Psychotherapeut außerhalb seines Blickfelds sitzt. Diese Anordnung ermöglicht dem Patienten, seine Aufmerksamkeit ganz auf die eigenen Gefühle und Gedanken zu richten, ohne durch Blickkontakt mit dem Therapeuten abgelenkt zu werden.

Das Ziel einer analytischen Psychotherapie ist, unbewusste Konflikte sichtbar zu machen, damit sie im Bewusstsein verarbeitet werden können. Sowohl in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie als auch in der analytischen Psychotherapie werden ähnliche Methoden genutzt, um unbewusste Prozesse sichtbar zu machen.

Eine zentrale Rolle in der analytischen Psychotherapie spielt die freie Assoziation. Dabei soll der Patient ungefiltert alles aussprechen, was ihm in den Sinn kommt, egal wie unwichtig oder unangenehm es erscheinen mag. Ziel ist es, Raum für spontane Einfälle und Assoziationen zu schaffen, damit unbewusste Inhalte leichter zum Vorschein kommen.

Freud betrachtete Träume ebenfalls als Ausdruck des Unbewussten, sodass durch die Deutung von Träumen verdrängte Gefühle oder Wünsche sichtbar werden können. In der analytischen Psychotherapie spielt die Traumdeutung daher eine wichtige Rolle.

Auch die Betrachtung sogenannter Übertragungsphänomene kann zum Erfolg der Psychotherapie beitragen. Übertragung beschreibt, wie Wünsche oder Gefühle aus anderen Beziehungen des Patienten auf den Therapeuten projiziert werden. Eine solche Übertragung zu erkennen und zu thematisieren, kann den therapeutischen Fortschritt fördern. Die Emotionen und Reaktionen des Therapeuten gegenüber dem Patienten werden hingegen als Gegenübertragung bezeichnet.

Wann ist eine analytische Psychotherapie sinnvoll?

Im Vergleich zu den anderen Richtlinienverfahren sind für eine analytische Psychotherapie deutlich mehr Sitzungen vorgesehen. Diese Therapieform ist daher besonders langwierig. Zudem kann die intensive Auseinandersetzung mit Kindheitserlebnissen für Patienten emotional belastend sein. Therapeut und Patient sollten daher im Rahmen des Erstgesprächs gemeinsam entscheiden, welches Psychotherapieverfahren am besten geeignet ist.

Eine analytische Psychotherapie ist insbesondere dann sinnvoll, wenn eine psychische Störung durch vergangene Erlebnisse ausgelöst oder verstärkt wird. Da sich die analytische Psychotherapie intensiv mit der Vergangenheit des Patienten beschäftigt, können tief in der Persönlichkeit verankerte Probleme bearbeitet werden. Therapieformen, die sich eher auf die Gegenwart beziehen (z. B. Verhaltenstherapie oder systemische Therapie), sind in solchen Fällen möglicherweise weniger geeignet.

Die analytische Psychotherapie wird unter anderem bei Depressionen, Zwangsstörungen sowie Angst- und Panikstörungen angewandt. Ihre Wirksamkeit wurde insbesondere bei Depressionen durch verschiedene Studien belegt. In der sogenannten Münchner Psychotherapiestudie wurden Patienten mit einer depressiven Störung in drei Gruppen aufgeteilt und jeweils mit einer analytischen Psychotherapie, tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie oder kognitiven Verhaltenstherapie behandelt.

Insgesamt erwiesen sich alle drei Psychotherapieverfahren als sehr wirksam bei depressiven Störungen. Darüber hinaus zeigte sich, dass die Wirkung der analytischen Psychotherapie noch bis zu drei Jahre nach Therapieende anhielt. Eine solche langfristige Wirksamkeit konnte bei den beiden anderen Therapieverfahren in der Studie nicht beobachtet werden.

Analytische Psychotherapie und klassische Psychoanalyse im Vergleich

Häufig werden die Begriffe analytische Psychotherapie und Psychoanalyse synonym verwendet. Beide Methoden basieren auf denselben Theorien und sind sich daher inhaltlich ähnlich, dennoch handelt es sich um verschiedene Verfahren.

Die analytische Psychotherapie dient der Behandlung psychischer Störungen und zählt zu den Richtlinienverfahren. Die Kosten der Therapie werden daher von den gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen. Die Sitzungen finden meist ein- bis zweimal wöchentlich über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren statt. Diese Form der Psychotherapie hat eine zeitliche Begrenzung und verfolgt ein klares Ziel.

Die klassische Psychoanalyse hingegen ist eher als eine Methode zur Persönlichkeitsentwicklung zu verstehen. Die Sitzungen finden bis zu fünfmal wöchentlich statt. Die klassische Psychoanalyse hat außerdem weder einen festen Endpunkt noch ein klares Behandlungsziel. Sie erfordert eine stabile psychische Verfassung des Analysanden und ist daher keine geeignete Methode zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Die Kosten einer Psychoanalyse werden folglich nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Inhaltlich und methodisch lassen sich die analytische Psychotherapie und die Psychoanalyse jedoch kaum unterscheiden. Der Unterschied liegt hauptsächlich im zeitlichen Umfang sowie im Behandlungsziel.

Psychotherapien im Vergleich: Ein Überblick über die Richtlinienverfahren

 

Analytische Psychotherapie

Bei einer analytischen Psychotherapie (AP) werden traumatische Erlebnisse aus der Vergangenheit aufgearbeitet. Durch die intensive Beschäftigung mit vergangenen Erlebnissen können tiefgreifende Probleme bearbeitet und bewältigt werden. Die analytische Psychotherapie hat daher erwiesenermaßen eine besonders nachhaltige Wirkung.

Die gesetzlichen Krankenversicherungen übernehmen im Rahmen einer Langzeittherapie zunächst die Kosten von 160 Sitzungen. Bei Antrag auf Verlängerung sind bis zu 300 Sitzungen möglich. Die Sitzungen finden meist mehrmals wöchentlich statt und eine Therapie kann mehrere Jahre andauern. Dies erfordert ein hohes Maß an Geduld seitens des Patienten und ist mitunter schwer in den Alltag zu integrieren. Eine analytische Psychotherapie kann außerdem eine hohe emotionale Belastung für den Patienten darstellen, insbesondere wenn sie vorzeitig abgebrochen wird.

Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie

Eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TP) deckt auf, inwiefern unbewusste Prozesse das eigene Denken und Verhalten beeinflussen. Im Gegensatz zur analytischen Psychotherapie fokussiert sich die TP eher auf die Gegenwart und die Linderung aktueller Symptome einer psychischen Erkrankung. Eine intensive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit findet in der Regel nicht statt.

Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie haben denselben Ursprung und nutzen ähnliche Methoden. Der zeitliche Umfang einer TP ist jedoch meist geringer, sodass sie leichter mit dem Alltag zu vereinbaren ist. Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie gilt daher auch als praxisorientiertere Variante der analytischen Psychotherapie.

Bei einer tiefenpsychologisch fundierten Langzeittherapie sind zunächst bis zu 60 Sitzungen möglich. Besteht danach weiterhin die medizinische Notwendigkeit einer Psychotherapie, kann die Behandlung um weitere 40 Sitzungen verlängert werden.

Verhaltenstherapie

In einer Verhaltenstherapie (VT) lernen Patienten, bestimmte Denk- und Verhaltensweisen zu verändern, um psychische Symptome zu lindern. Um eine nachhaltige Veränderung zu erzielen, müssen neue Verhaltensweisen aktiv durch den Patienten in den Alltag integriert werden. Eine VT folgt meist einer strukturierten Vorgehensweise, mit der ein klares Ziel erreicht werden soll. Sie ist außerdem kürzer als die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie.

Die Verhaltenstherapie wurde intensiv erforscht und ihre Wirkung insbesondere für Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen nachgewiesen. Im Rahmen einer Langzeittherapie übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten von bis zu 60 Sitzungen. Sollte eine längere Psychotherapie erforderlich sein, kann die Therapie um weitere 20 Sitzungen verlängert werden.

Systemische Therapie

Der Kerngedanke der systemischen Therapie (ST) ist, dass die Psyche stark durch die sozialen Beziehungen eines Menschen beeinflusst wird. Das soziale Umfeld des Patienten wird bei einer systemischen Therapie deshalb in den Prozess einbezogen.

Die individuelle Problematik eines Patienten kann in einer systemischen Therapie jedoch unter Umständen weniger im Fokus stehen, sodass andere Psychotherapieverfahren bei komplexen und tiefgreifenden psychischen Erkrankungen möglicherweise besser geeignet sind.

Eine systemische Therapie ist kürzer als die anderen Richtlinienverfahren, sodass Erfolge mitunter schneller sichtbar werden. Die gesetzlichen Krankenversicherungen übernehmen zunächst die Kosten von 36 Sitzungen. Sollte eine Fortsetzung der Therapie notwendig sein, kann sie um weitere 12 Sitzungen verlängert werden.

Literatur

Möller H.-J., Laux G, Kapfhammer H.-P., eds. Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie: Band 1: Allgemeine Psychiatrie Band 2: Spezielle Psychiatrie. Springer-Verlag, 2009.

Deutsche Psychotherapeutenvereinigung. „Report Psychotherapie“. 2021.

Sigmund Freud: Neue Folgen der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. 1933, GW, Band 15, S. 80.

Gemeinsamer Bundesausschuss. Richtlinie über die Durchführung der Psychotherapie. Version mit Inkrafttreten vom 19.06.2024. Berlin: G-BA, 2024.

Huber D., Klug G. Münchner Psychotherapiestudie. Psychotherapeut 61, 462–467 (2016).

Leuzinger-Bohleber M, et al. „Outcome of psychoanalytic and cognitive-behavioural long-term therapy with chronically depressed patients: a controlled trial with preferential and randomized allocation.“ The Canadian Journal of Psychiatry 64.1 (2019): 47-58.

Rudolf G, et al. „Umstrukturierung als Ergebnisparadigma der psychodynamischen Psychotherapie-Ergebnisse aus der Praxisstudie analytische Langzeittherapie.“ Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie 58.1 (2012): 55-66.

Leichsenring F, et al. „Die Göttinger Psychotherapiestudie.“ Forum der Psychoanalyse. Vol. 2. No. 24. 2008.

 

08.10.2024

Autor

  • Dr. med. Robert Sarrazin

    Dr. med. Robert Sarrazin arbeitet als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in eigener Praxis. Zu seinen Behandlungsschwerpunkten zählen u.a. Depressionen, Angst- und Panikstörungen, chronische Überlastung und Burnout sowie psychosomatische Beschwerden. Dr. Sarrazin unterstützt seine Patienten mit verhaltenstherapeutischer Psychotherapie sowie bei Bedarf zusätzlich mit Medikamenten. Er greift dabei auf eine langjährige praktische Berufserfahrung in verschiedenen Kliniken und im ambulanten Bereich zurück.

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