EMDR

Anwendung in der Traumatherapie

EMDR steht für eye movement desensitization and reprocessing und ist ein Psychotherapieverfahren, das insbesondere zur Behandlung von Traumafolgestörungen angewendet wird. Als Traumafolgestörung bezeichnet man eine psychische Erkrankung, die sich aufgrund eines Traumas entwickelt (z. B. eine posttraumatische Belastungsstörung, PTBS).

Das Verfahren wurde in den 1980er-Jahren von der US-amerikanischen Psychologin Dr. Francine Shapiro entwickelt. Während einer EMDR-Sitzung erinnert sich der Patient bewusst an das traumatische Ereignis. Dabei folgt er mit den Augen der Handbewegung des Psychotherapeuten, welcher seinen Finger abwechselnd von rechts nach links bewegt. Durch diese Form der Traumatherapie können belastende Erinnerungen verarbeitet und bewältigt werden.

Wie wirkt EMDR?

Die Wirksamkeit von EMDR in der Therapie von Traumafolgestörungen ist wissenschaftlich belegt (Chen et al., 2014). Die Verarbeitung traumatischer Erinnerungen ist in der Traumatherapie von entscheidender Bedeutung. Durch EMDR wird dieser Prozess gefördert.

Die Therapiemethode basiert auf der bilateralen Hemisphärenstimulation, bei der beide Gehirnhälften (Hemisphären) wechselseitig, also bilateral, aktiviert werden. Klassischerweise erfolgt die bilaterale Hemisphärenstimulation, indem der Patient den Handbewegungen des Psychotherapeuten mit den Augen folgt.

Alternativ kann die Stimulation auch auf andere Weise erreicht werden:

  • Der Patient verfolgt einen sich bewegenden Punkt, beispielsweise auf einer Lichtleiste oder mithilfe einer EMDR-Brille.
  • Beim sogenannten Butterfly-hug („Schmetterlings-Umarmung“) überkreuzt der Patient die Arme vor der Brust und klopft abwechselnd rhythmisch mit den Fingern auf seinen Brustkorb.
  • Mithilfe von Kopfhörern werden abwechselnd Töne im rechten und linken Ohr abgespielt.

Die Traumatherapie mittels EMDR basiert auf der Annahme, dass das Gehirn grundsätzlich in der Lage ist, negative Erfahrungen zu verarbeiten (adaptive Informationsverarbeitung, kurz AIP). Durch ein Trauma kann dieser Verarbeitungsprozess jedoch gestört sein.

Die Erinnerungen werden dann nicht vollständig verarbeitet, sondern in Fragmente zerlegt, die dem Bewusstsein nicht zugänglich sind. Bestimmte Reize, wie Gerüche oder Geräusche, können einzelne Erinnerungsfragmente reaktivieren und ein Wiedererleben der Situation auslösen – es kommt zu einem Flashback, einem Symptom der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

Während der Therapiesitzung soll sich der Patient an verschiedene Aspekte des Traumas erinnern, beispielsweise visuelle Details, Gefühle und körperliche Empfindungen. So werden die Erinnerungsfragmente zugänglich für das Bewusstsein und können verarbeitet werden. Sowohl während der Therapie als auch danach können intensive Emotionen auftreten, da das Gehirn noch mehrere Stunden mit der Verarbeitung beschäftigt ist. Dieser Vorgang wird Nachprozessierung genannt.

Es wird vermutet, dass Augenbewegungen eine wichtige Rolle bei Lern- und Verarbeitungsprozessen spielen. Bekannt ist, dass Menschen sich schlechter an zuvor Gelerntes erinnern, wenn ihr Schlaf während der sogenannten REM-Phase gestört wird. REM steht für rapid eye movement, da sich die Augen in dieser Schlafphase schnell von rechts nach links bewegen. Daher wird angenommen, dass auch die Verarbeitung traumatischer Erlebnisse durch Augenbewegungen, wie sie bei EMDR angewendet werden, beeinflusst wird.

Die Phasen der EMDR-Therapie

Klassischerweise gliedert sich eine EMDR-Behandlung in acht Phasen:

  1. Behandlungsplanung: Patient und Therapeut besprechen gemeinsam die aktuellen Symptome und Probleme. Zudem wird geprüft, ob EMDR als Therapieform für den Patienten infrage kommt. Anschließend kann ein Behandlungsplan erstellt werden.
  2. Vorbereitung: Der Psychotherapeut klärt den Patienten über die Wirkung und mögliche Nebenwirkungen der Therapie auf.
  3. Bewertung: Der Patient wird angeleitet, sich an die traumatische Erfahrung und deren verschiedene Komponenten (z. B. Gedanken, Gefühle oder Körperempfindungen) zu erinnern, um die Erinnerung zu reaktivieren.
  4. Desensibilisierung bzw. Neuverarbeitung: In dieser Phase findet die eigentliche EMDR-Therapie statt. Der Patient konzentriert sich auf die belastende Erinnerung, während er den Handbewegungen des Therapeuten mit den Augen folgt.
  5. Verankerung: Durch die Desensibilisierung sollte die Erinnerung als deutlich weniger belastend empfunden werden. Zusätzlich kann sich der Patient einen positiven Glaubenssatz, z. B. „Ich bin stark“, in Erinnerung rufen. Diese wird durch die bilaterale Hemisphärenstimulation verstärkt und nachhaltig verankert.
  6. Körper-Test: In dieser Phase erinnert sich der Patient erneut an die traumatische Erfahrung und richtet seine Aufmerksamkeit auf mögliche Körperempfindungen, die er dabei erfährt. Sollten weiterhin sog. sensorische Erinnerungsfragmente auftreten, können diese mittels EMDR erneut prozessiert werden.
  7. Abschluss: Die Erfahrungen der Therapie werden in einer Nachbesprechung thematisiert. Der Patient wird außerdem darauf hingewiesen, dass es in den folgenden Stunden zur Nachprozessierung kommen kann, bei der das Gehirn die Inhalte in abgeschwächter Form, beispielsweise im Traum, weiterverarbeitet. Für solche Situationen können zuvor Entspannungstechniken vermittelt werden.
  8. Nachbefragung: Die Nachbefragung findet zu Beginn der nächsten Therapiesitzung statt. Dabei werden unter anderem Träume oder das Auftreten neuer Erinnerungen besprochen, die gegebenenfalls erneut mittels EMDR bearbeitet werden können.

Anwendungsgebiete von EMDR

Das Verfahren wurde ursprünglich entwickelt, um Traumafolgestörungen wie die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zu behandeln. Die EMDR-Therapie kann jedoch auch bei anderen psychischen Störungen angewendet werden, darunter:

EMDR bei psychotischen Störungen

Die Anwendung von EMDR bei Patienten mit Psychosen ist umstritten. Traumatische Erlebnisse in der Kindheit stellen eine erhebliche Belastung dar und erhöhen das Risiko, im Laufe des Lebens an einer Psychose zu erkranken (Varese et al., 2012). Eine traumabezogene Therapie könnte daher für Patienten mit Psychosen von Vorteil sein. Kritiker warnen jedoch, dass der Einsatz von EMDR bei diesen Patienten zu einer Verschlechterung der Symptomatik (Dekompensation) führen könnte.

In einer Studie (Van den Berg et al., 2012) wurde die Wirkung der EMDR-Therapie bei psychotischen Patienten untersucht. Es zeigte sich eine signifikante Verbesserung der PTBS-Symptome sowie eine Reduktion von Halluzinationen und Angstzuständen. Einige Symptome der Psychose, beispielsweise Wahnvorstellungen, blieben unter der EMDR-Therapie unverändert. Insgesamt konnte jedoch keine Verschlechterung der Symptomatik durch EMDR-Therapie beobachtet werden.

EMDR bei Alkoholabhängigkeit

Die Wirkung von EMDR wurde auch bei alkoholbedingten Suchterkrankungen untersucht. In einer Studie (Hase et al., 2008) wurden dazu 34 Betroffene in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe erhielt die Standardtherapie, die unter anderem aus Entgiftung und Gruppentherapie bestand, während die andere Gruppe zusätzlich zur Standardtherapie zwei EMDR-Sitzungen erhielt.

Ziel der Therapie war es, den Suchtdruck zu verringern und Rückfälle zu vermeiden. Es zeigte sich, dass der Suchtdruck in der EMDR-Gruppe deutlich stärker abgenommen hatte als in der Gruppe mit der Standardtherapie. Zudem kam es in der EMDR-Gruppe zu deutlich weniger Rückfällen.

EMDR bei Depressionen

Auch die Wirkung von EMDR-Therapie bei der Behandlung von Depressionen wird intensiv erforscht. Es gibt Hinweise darauf, dass EMDR ähnliche Ergebnisse wie andere Psychotherapieverfahren erzielen könnte.

In einer Studie (Ostacoli et al., 2018) wurde die Wirksamkeit von EMDR mit der kognitiven Verhaltenstherapie bei depressiven Patienten verglichen. Die Patienten wurden in zwei Gruppen aufgeteilt, die jeweils eine der beiden Therapieformen erhielten. Sowohl direkt nach der Behandlung als auch sechs Monate später konnte in beiden Gruppen eine vergleichbare Reduktion der depressiven Symptomatik beobachtet werden. Die Behandlung mit EMDR war somit etwa genauso wirksam wie die Verhaltenstherapie.

In einer weiteren Studie (Hase et al., 2018) wurde der Erfolg einer EMDR-Therapie zusätzlich zur Standardtherapie (Kombination aus Antidepressiva und tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie oder Verhaltenstherapie) bei Depressionen untersucht. Die Studienteilnehmer wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine Gruppe erhielt die Standardtherapie, während in der anderen Gruppe zusätzlich EMDR angewendet wurde.

Die EMDR-Gruppe zeigte nach der Behandlung eine deutliche Verbesserung der depressiven Symptomatik. Zudem erreichte die Hälfte der Patienten in der EMDR-Gruppe eine vollständige Remission, während dies in der Gruppe mit Standardtherapie nur bei einem Viertel der Teilnehmer der Fall war. Es ist jedoch zu beachten, dass die Studie mit 30 Teilnehmern sehr klein war. Um verlässlichere Ergebnisse zu erhalten, sind in Zukunft größere Studien notwendig.

Finanzierung und Kostenübernahme der EMDR-Therapie

Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen seit 2015 die Kosten einer EMDR-Therapie zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen bei Erwachsenen. Die EMDR-Therapie muss dafür im Rahmen eines Richtlinienverfahrens erfolgen und der behandelnde Psychotherapeut muss eine entsprechende Qualifikation aufweisen. Zu den Richtlinienverfahren gehören:

Mittlerweile bieten einige Psychotherapeuten EMDR auch zur Behandlung anderer psychischer Erkrankungen, wie Depressionen, an. In diesem Fall müssen die Kosten der Behandlung jedoch selbst getragen werden. Die Anwendung von EMDR bei Kindern und Jugendlichen ist derzeit ebenfalls keine Kassenleistung.

Mehr Informationen zur Kostenübernahme einer Psychotherapie durch die gesetzliche Krankenversicherung finden Sie hier.

Literatur

EMDR-Institut Deutschland

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG)

Deutsches Ärzteblatt „EMDR wirkt ebenso gut wie Verhaltenstherapie bei Depressionen“ (2018)

Hase M et al. „Eye movement desensitization and reprocessing versus treatment as usual in the treatment of depression: A randomized-controlled trial.“ Frontiers in psychology 9 (2018): 1384.

Hase M, Schallmayer S, Sack M. „EMDR reprocessing of the addiction memory: Pretreatment, posttreatment, and 1-month follow-up.“ Journal of EMDR Practice & Research 2.3 (2008).

Hase M et al. „Eine ungewöhnliche Form der Psychotherapie.“ Deutsches Ärzteblatt 12 (2013): 512-514.

Ostacoli L et al. „Comparison of eye movement desensitization reprocessing and cognitive behavioral therapy as adjunctive treatments for recurrent depression: The European Depression EMDR Network (EDEN) randomized controlled trial.“ Frontiers in psychology 9 (2018): 74.

Rudolf G, Schulte D. „Gutachten zur wissenschaftlichen Anerkennung der EMDR-Methode (Eye-Movement Desensitization and Reprocessing) zur Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung.“ Deutsches Ärzteblatt 103.37 (2006): A2417-A2420.

Spitzer M. „Psychotherapie im Mausmodell.“ Nervenheilkunde 38.05 (2019): 231-239.

Senf W, Broda M, Wilms B, eds. Techniken der Psychotherapie: ein methodenübergreifendes Kompendium. Georg Thieme Verlag, 2013. S. 176-178

Varese F et al. „Childhood adversities increase the risk of psychosis: a meta-analysis of patient-control, prospective-and cross-sectional cohort studies.“ Schizophrenia bulletin 38.4 (2012): 661-671.

Van den Berg D, van der Gaag M. „Treating trauma in psychosis with EMDR: a pilot study.“ Journal of behavior therapy and experimental psychiatry 43.1 (2012): 664-671.

Van den Berg D et al. „Prolonged exposure vs eye movement desensitization and reprocessing vs waiting list for posttraumatic stress disorder in patients with a psychotic disorder: a randomized clinical trial.“ JAMA psychiatry 72.3 (2015): 259-267.

Chen, Ying-Ren, et al. „Efficacy of eye-movement desensitization and reprocessing for patients with posttraumatic-stress disorder: A meta-analysis of randomized controlled trials.“ PloS one 9.8 (2014): e103676.

 

18.11.2024

Autor

  • Dr. med. Robert Sarrazin

    Dr. med. Robert Sarrazin arbeitet als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in eigener Praxis. Zu seinen Behandlungsschwerpunkten zählen u.a. Depressionen, Angst- und Panikstörungen, chronische Überlastung und Burnout sowie psychosomatische Beschwerden. Dr. Sarrazin unterstützt seine Patienten mit verhaltenstherapeutischer Psychotherapie sowie bei Bedarf zusätzlich mit Medikamenten. Er greift dabei auf eine langjährige praktische Berufserfahrung in verschiedenen Kliniken und im ambulanten Bereich zurück.

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