Kostenerstattungsverfahren in der Psychotherapie

Rechtliche Grundlage

Die gesetzlichen Krankenversicherungen sind grundsätzlich dazu verpflichtet, eine ausreichende Versorgung ihrer Versicherten zu gewährleisten. Dies gilt auch für Psychotherapien, sodass unzumutbar lange Wartezeiten bei Psychotherapeuten mit Kassensitz als Systemversagen gelten. Unter bestimmten Bedingungen ist es daher möglich, dass Patienten sich eigenständig einen Psychotherapeuten ohne Kassensitz suchen und die Kostenübernahme dieser Therapie bei der Krankenkasse beantragen.

Problematisch ist jedoch, dass es keine einheitlichen Regelungen dafür gibt, in welchen Fällen eine Krankenkasse zur Kostenerstattung verpflichtet ist. Auch die Beantragung und die erforderlichen Unterlagen sind nicht bei allen Krankenkassen gleich. Daher sollten Patienten vorher unbedingt schriftlich bei der Krankenkasse erfragen, welche Unterlagen für eine Kostenerstattung erforderlich sind.

Was ist ein Kassensitz?

Besitzt ein Arzt oder ein Psychotherapeut einen Kassensitz, so kann er gesetzlich versicherte Patienten behandeln und diese Behandlung über die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) abrechnen. Sogenannte Vertragsärzte bzw. Vertragstherapeuten haben Rechte, aber auch Pflichten, die sie erfüllen müssen. Beispielsweise müssen sie ein bestimmtes Kontingent an Sprechstundenzeiten und Notfallversorgung anbieten.

Jedoch besitzt nicht jeder Arzt oder Psychotherapeut einen Kassensitz. Die Kassensitze werden durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) vergeben, die bestimmt, wie groß der Bedarf an Therapeuten in einer Region ist. So soll eine ausreichende und flächendeckende Versorgung der Patienten sichergestellt werden. In Regionen mit vielen Ärzten oder Psychotherapeuten ist es daher schwieriger einen Kassensitz zu erhalten als in unterversorgten Gebieten.

Sind in einer Region genügend Therapeuten mit Kassensitz niedergelassen, können neue Therapeuten einen Kassensitz nur erhalten, wenn eine andere Praxis ihren Sitz abgibt bzw. verkauft. Dafür können je nach Region bis zu sechsstellige Summen fällig werden.

Psychotherapeuten ohne Kassensitz können sich in einer Privatpraxis niederlassen. Das bedeutet, dass sie nicht über die gesetzliche Krankenversicherung abrechnen. Privatpraxen besitzen einige Freiheiten:

  • Niederlassungsfreiheit: Psychotherapeuten in einer Privatpraxis können sich überall niederlassen. Sie müssen sich nicht an der Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigung orientieren und können sich daher auch in „überversorgten“ Gebieten niederlassen.
  • Verfahrensfreiheit: Gesetzliche Krankenversicherungen übernehmen die Kosten einer Psychotherapie nur, wenn diese in einem Richtlinienverfahren stattfindet. Psychotherapeuten in der Privatpraxis können daher auch andere Verfahren anwenden.
  • Weniger Verwaltungsarbeit: Da Privatpraxen nicht mit den gesetzlichen Krankenversicherungen abrechnen, müssen sie auch nicht deren Bedingungen erfüllen. Für Psychotherapeuten ohne Kassensitz bedeutet dies in der Regel deutlich weniger Aufwand.

Ärzte und Psychotherapeuten ohne Kassensitz besitzen die gleiche Ausbildung wie solche mit Kassensitz. Eine Behandlung in einer Privatpraxis hat daher die gleiche Qualität wie eine Behandlung in einer Praxis mit Kassensitz.

Vorgehensweise

Bevor eine Psychotherapie begonnen wird, muss eine psychotherapeutische Sprechstunde stattgefunden haben – das gilt auch für das Kostenerstattungsverfahren. Der Psychotherapeut bescheinigt dem Patienten anschließend, dass eine Psychotherapie notwendig und dringlich ist.

Gesetzlich Versicherte sollten anschließend mehrere Psychotherapeuten mit Kassensitz kontaktieren und sich nach freien Therapieplätzen mit zumutbarer Wartezeit (in der Regel drei Monate) und Entfernung zum Wohnort (etwa 30 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln entfernt) erkundigen. Um später nachweisen zu können, dass der Patient sich um einen Therapieplatz bemüht hat, sollten die Anrufe protokolliert werden (Name des Psychotherapeuten, Datum, Uhrzeit, Wartezeit). Es sollten mindestens drei bis fünf Psychotherapeuten kontaktiert werden.

Findet der Patient keinen Therapieplatz bei einem Psychotherapeuten mit Kassensitz, kann er sich nach freien Therapieplätzen in einer Privatpraxis erkundigen und einen Termin für eine psychotherapeutische Sprechstunde ausmachen. Die psychotherapeutische Sprechstunde in einer Privatpraxis ist nicht immer kostenfrei, informieren Sie sich daher vorher über mögliche Kosten.

Die Privatpraxis sollte dem Patienten anschließend bescheinigen, dass sie ihm aktuell oder in naher Zukunft einen freien Therapieplatz anbieten kann. Wichtig ist, dass der Psychotherapeut die Therapie in einem Richtlinienverfahren durchführt.

Nun kann ein „Antrag auf ambulante Psychotherapie und Kostenerstattung nach § 13 Absatz 3 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V)“ bei der gesetzlichen Krankenversicherung gestellt werden. Abhängig von der Krankenkasse sind verschiedene Dokumente für die Beatragung nötig, zum Beispiel:

  • Die Bescheinigung (PTV11) mit dem Vermerk der Dringlichkeit einer Psychotherapie aus der psychotherapeutischen Sprechstunde
  • Protokoll der Suche nach einem Therapieplatz
  • Die Bescheinigung der Privatpraxis, dass der Patient zeitnah einen Therapieplatz erhalten kann

Einige Krankenkassen fordern außerdem eine Dringlichkeitsbescheinigung des Hausarztes.

Die Krankenkasse muss innerhalb von drei Wochen über den Antrag entscheiden. Ist ein Gutachten nötig, verlängert sich diese Frist auf fünf Wochen. Verstreicht die Frist ohne eine Rückmeldung durch die Krankenkasse, gilt der Antrag als bewilligt und die Krankenversicherung ist zur Übernahme der Kosten verpflichtet. Diese Bewilligung gilt allerdings nur so lange, bis die Krankenkasse endgültig über den Antrag entschieden hat. Wird der Antrag abgelehnt, kann Widerspruch eingelegt werden.

Musterschreiben für alle nötigen Dokumente finden Sie hier.

Tipps und Hinweise der Psychotherapeutenkammer

Die Psychotherapeutenkammer gibt folgende Tipps, um die Chancen auf eine Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung zu erhöhen:

  • Kontaktieren Sie möglichst viele Psychotherapeuten mit Kassensitz und protokollieren Sie die Anrufe oder E-Mails. Auch die Terminservicestellen sollten mehrmals kontaktiert werden.
  • Stellen Sie den Antrag auf Kostenerstattung vor Beginn der Psychotherapie in einer Privatpraxis. Die Krankenkasse ist nicht verpflichtet, Kosten zu erstatten, die während der Entscheidung über den Antrag entstehen.
  • Es ist möglich, dass die Krankenkasse zunächst nur die probatorischen Sitzungen genehmigt. In diesem Fall muss ein zweiter Antrag für die eigentliche Therapie gestellt werden.
  • Die Behandlung muss in einem Richtlinienverfahren und von einem approbierten Psychotherapeuten oder Arzt durchgeführt werden. Psychotherapien durch Heilpraktiker werden nur in wenigen Ausnahmefällen erstattet.
  • Die psychotherapeutische Sprechstunde in einer Privatpraxis ist nicht immer kostenfrei. Informieren Sie sich daher vorher über mögliche Kosten.
  • Es kommt vor, dass die Krankenkassen nur den Betrag erstatten, den ein Psychotherapeut mit Kassensitz erhalten würde. Das ist zu erkennen an Formulierungen wie „Erstattung der Kosten in Höhe der kassenüblichen Sätze“. Dies ist jedoch rechtswidrig und daher kann in diesem Fall Widerspruch eingelegt werden.
  • Übersteigen die tatsächlichen Behandlungskosten die kassenüblichen Sätze, muss der Psychotherapeut den Patienten darüber informieren. Andernfalls darf er den überschießenden Betrag nicht in Rechnung stellen.

Ablehnung des Antrags auf Kostenerstattung

Häufig werden Anträge auf Kostenerstattung durch die Krankenkassen abgelehnt. Beispielsweise wurden im Jahr 2021 etwa 48% aller Anträge auf Erstattung der Kosten einer Psychotherapie nicht bewilligt. Patienten haben zwar nicht grundsätzlich, jedoch unter bestimmten Voraussetzungen, einen Anspruch auf Kostenerstattung bei Systemversagen. Gesetzlich Versicherte sollten sich daher zuvor, am besten schriftlich, bei ihrer Krankenversicherung über die nötigen Voraussetzungen informieren.

Die Krankenkassen begründen eine Ablehnung des Antrags häufig damit, dass Termine über die Terminservicestellen vergeben werden und Patienten sich an diese wenden sollen. Auch wenn Sie bereits eine psychotherapeutische Sprechstunde besucht haben, wenden Sie sich erneut an die Terminservicestelle mit der Bitte um einen Therapieplatz. Kann diese Ihnen keinen Therapieplatz anbieten, können Sie Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid einlegen.

Ein weiterer Grund für die Ablehnung ist die Behauptung, dass es seit Einführung der neuen Psychotherapie-Richtlinie kein Kostenerstattungsverfahren mehr gäbe. Auch das ist nicht korrekt.

In einigen Fällen schlagen die Krankenkassen einen Therapeuten mit Kassensitz vor, der aktuell jedoch keinen freien Therapieplatz hat. Bitten Sie den genannten Therapeuten in diesem Fall um eine schriftliche Bestätigung, dass zurzeit keine Therapieplätze verfügbar sind.

Lehnt die Krankenkasse den Antrag ab, sollten Sie einen schriftlichen Ablehnungsbescheid anfordern. Anschließend kann innerhalb eines Monats schriftlich Widerspruch eingelegt werden. Eine Vorlage für den schriftlichen Widerspruch finden Sie hier.

Wird der Antrag weiterhin abgelehnt, gibt es folgende Möglichkeiten:

Beispiel: Ablauf des Kostenerstattungsverfahrens bei der Techniker Krankenkasse (TK)

Erstgespräch

Bei der Techniker Krankenkasse (TK) muss zunächst ein Erstgespräch im Rahmen der psychotherapeutischen Sprechstunde stattfinden. Hier wird festgestellt, ob eine psychische Erkrankung vorliegt und welches Therapieverfahren angewendet werden soll.

Das Ergebnis des Erstgesprächs wird auf einem Formular (PTV11) festgehalten. Wichtig für das Kostenerstattungsverfahren bei der TK ist, dass auf diesem Formular die Dringlichkeit der Psychotherapie vermerkt wird. Dafür muss die Box „Psychotherapie zeitnah erforderlich“ angekreuzt werden, zusätzlich sollte der Freitext einen Vermittlungscode enthalten.

Enthält das Formular weder einen Vermittlungscode noch den Vermerk, dass die Psychotherapie zeitnah erforderlich ist, ist eine Psychotherapie durch das Kostenerstattungsverfahren bei der TK nicht möglich. In diesem Fall müssen sich Patienten auf die Warteliste eines kassenzugelassenen Psychotherapeuten setzen lassen.

Therapeutensuche

Mithilfe des Vermittlungscodes aus dem Erstgespräch sollten Patienten zunächst versuchen, einen Termin für eine probatorische Sitzung auszumachen. Dies kann über die Internetseite der Terminservicestelle oder die Telefonnummer 116117 erfolgen.

Kann die Terminservicestelle keine Termine anbieten, müssen Patienten selbst versuchen, einen Termin für die probatorische Sitzung bei einem kassenzugelassenen Psychotherapeuten zu finden.

Die Techniker Krankenkasse gibt keine genaue Vorgabe, wie viele Psychotherapeuten mit Kassensitz erfolglos kontaktiert werden müssen, bevor das Kostenerstattungsverfahren beantragt werden kann. Die Anzahl ist abhängig davon, wie viele Psychotherapeuten am Wohnort beziehungsweise in der Umgebung niedergelassen sind.

Im Ärzteführer der TK können Versicherte daher ihre Postleitzahl und das gesuchte Therapieverfahren (z.B. Verhaltenstherapie) eingeben. Dort werden alle potenziellen Therapeuten in der Nähe angezeigt. Die TK gibt an, dass ein Großteil bzw. alle der dort genannten Therapeuten kontaktiert werden sollten.

Um das Kostenerstattungsverfahren zu nutzen, muss die Suche nach einem Psychotherapeuten mit Kassensitz unbedingt protokolliert werden (Name des Therapeuten, Datum und Uhrzeit des Anrufs, Wartezeit/Absage). Ein entsprechendes Formular dazu finden Sie hier.

Antragstellung

Kann Ihnen keiner der kontaktierten Psychotherapeuten einen Psychotherapieplatz anbieten, können Sie das Formular PTV11 und das Protokoll bei der Techniker Krankenkasse einreichen (z.B. über die App). Die TK prüft den Antrag auf Kostenerstattung anschließend und bewilligt bestenfalls, dass die Kosten für die probatorischen Sitzungen bei einem Psychotherapeuten ohne Kassensitz übernommen werden.

Wichtig zu beachten ist, dass die genannten Schritte zunächst nur für den Antrag auf Kostenerstattung der probatorischen Sitzungen gelten. Für die eigentliche Therapie muss das Verfahren erneut durchlaufen werden.

Autor

  • Dr. med. Robert Sarrazin

    Dr. med. Robert Sarrazin arbeitet als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in eigener Praxis. Zu seinen Behandlungsschwerpunkten zählen u.a. Depressionen, Angst- und Panikstörungen, chronische Überlastung und Burnout sowie psychosomatische Beschwerden. Dr. Sarrazin unterstützt seine Patienten mit verhaltenstherapeutischer Psychotherapie sowie bei Bedarf zusätzlich mit Medikamenten. Er greift dabei auf eine langjährige praktische Berufserfahrung in verschiedenen Kliniken und im ambulanten Bereich zurück.

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